
Gebürtiger Niedersachse und Fischereiprofessor Robert Arlinghaus gewinnt den nationalen Frontiers Planet Prize.
Der Anglerverband Niedersachsen war entscheidender Praxispartner.
Pressemitteilung: Hannover, den 22.04.2025
Diese Studie an 20 niedersächsischen Seen ist bahnbrechend. Gemeinsam mit dem Anglerverband Niedersachsen (AVN) unter Beteiligung von über 20 Angelvereinen stellten Wissenschaftler verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Artenvielfalt in und um Baggerseen auf den Prüfstand. Das Ergebnis: Lebensraumverbesserungen sind wirksamer als Naturschutzbemühungen wie Fischbesatz, die auf einzelne Arten abzielen. Die Ergebnisse liegen seit 2023 vor und finden nun Eingang in ein verbessertes Gewässermanagement. Dafür wird der Studienleiter Prof. Dr. Robert Arlinghaus nun ausgezeichnet: Der Fischereiprofessor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und an der Humboldt-Universität zu Berlin erhält dieses Jahr den nationalen Frontiers Planet Prize. Dies ist eine internationale Auszeichnung für Forschende, die bahnbrechende Lösungen für Umweltprobleme entwickelt und in der Fachliteratur publiziert haben. Am 22. April – dem Tag der Erde – wurden die nationalen Champions bekannt gegeben, die jetzt um den globalen Preis konkurrieren. Der gebürtige Lohner ist einer von 19 Gewinnern aus aller Welt. An der Studie beteiligt waren Gewässer und Angelvereine aus den Landkreisen Aurich, Leer, Nienburg, Neustadt am Rübenberge, Hannover, Osnabrück, Peine, Helmstedt, Verden und Gifhorn. Sie alle waren Teil des Forschungsprojekts BAGGERSEE.
Lebensraumverbesserungen wirken gegen Artenschwund
Der Verlust von Artenvielfalt schreitet im Süßwasser noch schneller voran als an Land. Besonders betroffen sind Süßwasserfische. In Niedersachsen sind es vielerorts Angelvereine, die sich darum kümmern. Diese haben im Prinzip zwei Möglichkeiten, die Fischbestände in ihren Angelgewässern zu fördern. Option eins ist simpel und sehr beliebt: Zuchtfische oder anderswo gefangene Fische besorgen und in das Zielgewässer einsetzen. Diese Variante heißt Fischbesatz und wird flächendeckend angewendet. Option zwei ist komplizierter, oft kostspielig und teils mit bürokratischen Hürden verbunden: Hier wird der gesamte Lebensraum auf Schwachstellen überprüft und so aufgewertet, dass Fische sich von selbst vermehren können. In Baggerseen kann beispielsweise das Anlegen fehlender Flachwasserzonen eine geeignete Maßnahme sein, in Fließgewässern die Wiederherstellung von Auen und die Förderung der Durchwanderbarkeit. Von der naturnahen Gestaltung profitieren dann auch andere Arten. So die Theorie. Doch fehlten bislang belastbare Beweise dafür, dass ganzheitliche, ökosystemare Lebensraumverbesserungen tatsächlich besser funktionieren als die Förderung einzelner Arten durch Fischbesatz. Diesen Beweis konnten Arlinghaus und Team am Beispiel von Baggerseen in Niedersachsen erbringen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Science im Jahre 2023 veröffentlicht. Doch wirken die Ergebnisse immer noch nach, weil Vereine aus der Angelpraxis das Projekt mitentwickelt haben und die Ergebnisse nun flächendeckend zum Einsatz kommen. Die diesjährige Auszeichnung würdigt auch diesen integrativen Ansatz, der Forschung und Praxis bei der Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen verbindet.
Niedersachsen wurde zum Forschungslabor
Es war eine begründete Vermutung, die Robert Arlinghaus und sein Team dazu bewog, ganz Niedersachsen in eine Art Freilandlabor zu verwandeln. Seit 20 Jahren arbeitet der Fischereiprofessor an Problemen des Fischereimanagements und des Fischschutzes in Binnengewässern. Die gängige Praxis gab ihm dabei zu denken. Arlinghaus erklärt: „Jährlich werden Millionen von Fischen in Seen, Flüsse und Küstengewässer eingesetzt, um Fischbestände oder Fangzahlen zu erhöhen. Als Fischereiökologe hatte ich schon lange die Vermutung, dass viele dieser Maßnahmen scheitern müssten.“ Schlecht angepasste Zuchtfische und Regulationsmechanismen innerhalb von Fischpopulationen ließen ihn auf diese Annahme schließen. Doch konnte der gebürtige Niedersachse aus Lohne (Südoldenburg) das nicht beweisen. Ein groß angelegtes Ökosystemexperiment sollte Klarheit bringen. In Niedersachsen fand Arlinghaus optimale Bedingungen dafür. Nicht zuletzt dank des Anglerverbands Niedersachsen, der als Praxispartner und Mitinitiator in das Projekt einstieg, dieses mitentwickelte, die Maßnahmen umsetzte und auch heute noch die Ergebnisse in die Anglerschaft weiterträgt.
20 Seen von Aurich bis Hannover
Das Forschungsteam hat in einem Vorher-Nachher-Kontroll-Experiment über sechs Jahre in 20 Baggerseen verglichen, wie sich das Aussetzen von Fischen sowie die Aufwertung der Lebensräume mittels Totholzbündeln und Flachwasserzonen auf die Fischbestände auswirken. Beteiligt waren Gewässer und Angelvereine aus den Landkreisen Aurich, Leer, Nienburg, Neustadt am Rübenberge, Hannover, Osnabrück, Peine, Helmstedt, Verden und Gifhorn. „So ein großes, wiederholtes und vor allem kontrolliertes Ganzseeexperiment gab es in dieser Form bisher nicht. Entscheidend für den Erfolg war die großartige Zusammenarbeit mit dem Anglerverband Niedersachsen und dem damaligen Fischereibiologen des Verbands Prof. Dr. Thomas Klefoth, der heute an der Hochschule Bremen lehrt“, erläutert Robert Arlinghaus.
Fische, Libellen und Wasserpflanzen profitieren von Flachwasserzonen
„Über einen Zeitraum von sechs Jahren wurden rund 160.000 Fische und viele andere Tierarten vor und nach Maßnahmendurchführung beprobt, um zu untersuchen, wie die jeweiligen Organismengruppen auf die Schaffung von Lebensräumen oder das Einsetzen von insgesamt 40.000 einzeln markierten Fischen reagieren“, ergänzt der Erstautor der Studie, Prof. Johannes Radinger, ehemaliger Wissenschaftler der Arbeitsgruppe um Arlinghaus, der jetzt Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal ist. „Die Studie zeigte, dass Lebensraumverbesserungen, insbesondere die Schaffung von Flachwasserzonen, den Fischbestand in den Seen und die Reproduktion von Fischen nachhaltig erhöhte und auch die Vielfalt anderer Organismengruppen wie Libellen oder Wasserpflanzen förderte“, erläutert der geteilte Erstautor und damalige Doktorand von Arlinghaus Sven Matern, der heute am Institut für Binnenfischerei in Potsdam arbeitet. Der Fischbesatz – an dem viele Angelvereine aber auch andere Naturschutzakteure weltweit häufig festhalten – ist in diesem Versuch hingegen völlig gescheitert. Das Einbringen von Totholz als Strukturelement zeigte, gewässerspezifisch und artabhängig, positive Effekte auf Fische und andere Organismen, war aber gegenüber der Schaffung von Flachwasserzonen weniger erfolgreich.
Angelvereine als wichtige Partner
Das vom Forschungs- und vom Umweltministerium in den Jahren 2016 bis 2022 finanzierte Projekt BAGGERSEE war Grundlage der Science-Publikation, die jetzt ausgezeichnet wird. Es wurde in enger Zusammenarbeit mit Dutzenden im Anglerverband Niedersachsen organisierten Angelvereinen durchgeführt. Hunderte Personen aus der Angelpraxis waren an der Umsetzung der Managementmaßnahmen und der Datenerhebung beteiligt. Fischereibiologen des AVN planten und koordinierten die Umsetzung der Maßnahmen. „Aktuell läuft ein Vermittlungsprojekt als Anschluss, in dem die Ergebnisse deutschlandweit an Angelvereine über die Projektvereine hinaus kommuniziert werden“, sagt Prof. Thomas Klefoth von der Hochschule Bremen, der das BAGGERSEE-Projekt zusammen mit Prof. Dr. Robert Arlinghaus erdacht und ehemals als Fischereibiologe des AVN koordiniert hat.
Auswahl der nationalen Champions
Die nationalen Champions für Nachhaltigkeitsdurchbrüche in der Forschung wurden von den 100 wichtigsten Nachhaltigkeitsforscherinnen weltweit unter Vorsitz von Professor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ausgewählt. Sie ziehen nun in die Endrunde des Wettbewerbs ein, in der im Juni 2025 drei internationale Champions vorgestellt werden, die jeweils 1 Mio. USD für ihre weitere Forschung erhalten.
Der Frontiers Planet Prize
Der Frontiers Planet Prize ist ein globaler Wettbewerb für Forschende und Forschungseinrichtungen, die Lösungen entwickeln, die das Überschreiten planetarer Belastungsgrenzen verhindern. Er wurde am Tag der Erde 2022 ins Leben gerufen. Die Frontiers Research Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in der Schweiz, gegründet von den Neurowissenschaftler:innen Kamila und Henry Markram (EPFL). Sie finanziert Programme zur Beschleunigung wissenschaftlicher Lösungen, die ein gesundes Leben auf einem gesunden Planeten ermöglichen.
LITERATUR
BETEILIGTE ANGELVEREINE
Diese Angelvereine haben in den Jahren 2016-2022 am Projekt BAGGERSEE mitgewirkt:
ASV Leer,
Bezirksfischereiverband für Ostfriesland (BVO),
AV Nienburg,
ASV Neustadt,
FV Hannover, NWA,
FV Peine-Ilsede,
SFV Helmstedt,
Sportfischer Verden,
VFG Schönewörde,
ASV Alfeld,
ASV Dannenberg,
ASV Stapel,
ASV Scheeben Wind,
AF Ahausen,
FV Gronau,
FV Schaumburg-Lippe,
FV Wietzendorf,
SAV Hammah,
SFV Hameln,
FV Barnstorf,
SFV Schlüsselburg,
ASV Heede-Sankt-Hülfe,
SFV Heede Ems,
SFV Westoverledingen,
ASV Spaden
Weitere Beteiligte: Stiftung Naturschutz, Stadt Leer, weitere Privatpersonen
MEHR INFOS
www.baggersee-forschung.de
AVN-Projektseite BAGGERSEE