
Am Mittwoch und Donnerstag waren die AVN-Fischexperten Andreas Maday, Jarle Langner und FÖJler Theo Kros im Norden von Hannover unterwegs. Im Auftrag der Stadt sollte der AVN eine Fischbestandserhebung in einem etwa 10 ha großen Baggersee durchführen und darauf gründend ein Konzept für eine fischereiliche Bewirtschaftung durch einen Angelverein erarbeiten.
Das Team war gespannt: Was kann man in einem „frischen“ Gewässer dieser Art und Größe erwarten? Rotaugen oder Rotfedern, Stichlinge, Moderlieschen, vielleicht auch Karpfen, Barsch, Hecht oder sogar Zander?
Typischer Baggersee: keine Strukturen, steile Ufer, klares Wasser
Erste Begutachtung vor Ort: Einige Kormorane sind unterwegs, Sandboden, das Wasser klar mit kleinen Beständen von Krausem Laichkraut (Potamogetum crispus), dazu eine noch unbekannte Pflanze, kaum andere Strukturen, und am Westufer offenbar ziemlich steile Kanten. Leitfähigkeit über 1400 Mikro-Siemens, ganz schön knackig.
Invasive Arten festgestellt
Das Elektrofischen zu Beginn lieferte schnell fingerlange Rotaugen (Rutilus rutilus) mit seltsam dicken Bäuchen und hervorquellenden Augen. Offenbar dank heftigem Parasitenbefall, vermutlich Bandwürmer. Daneben gingen Dreistachlige Stichlinge in den Kescher und – erste Überraschung: ein Kamberkrebs (Orconectes limosus).
Wie aus dem Nichts plötzlich ein Schwarm größerer Fische, die zweite Überraschung: zehn gut 25 cm lange Giebel (Carassius gibelio), eine invasive Art mit sehr abgefahrener Fortpflanzungsbiologie und hohem Schadpotenzial, etwa für die vom Aussterben bedrohte Karausche (Carassius carassius).
Der Rest der Elektrofischrunde förderte keine neuen Arten zutage. Trotz einiger Bäume im Wasser, die Raubfischen als Unterstände dienen könnten. Insgesamt wenig Fisch.
Gibt es in diesem Baggersee doch Raubfische?
Mit dem Sonar, Raubfischruten und einem benthischen Netz ging es nach dem Bestimmen und Messen der Fänge vom Elektrofischen zurück auf den Baggersee. 20 m an der tiefsten Stelle, einige krasse Kanten und große Punktwolken auf dem Echo – Fischschwärme im tieferen Wasser? Nein, nur Gasblasen, wie sich später herausstellte. Keine Reaktion auf Chatterbaits, dicke Swimbaits, Jigs oder Wobbler.
An einer vielversprechenden Kante wurde das Netz gestellt. Abends bargen die Fischereibiologen daraus ebenfalls Rotaugen, eine Rotfeder und Stichlinge. Auch die Netze, die über Nacht standen, brachten am Donnerstagmorgen keine neuen Fischarten.
Rotaugen mit Riemenbandwürmern
Immerhin bestätigte sich bei einer schnellen Präparation der Rotaugen vor Ort (danke Theo!), dass sie tatsächlich von Bandwürmern befallen waren; teilweise doppelt so lang wie der Fisch selbst.
Höchstwahrscheinlich waren es Riemenbandwürmer (Ligula intestinalis), ein Fischparasit mit ziemlich coolem Lebenszyklus und zweifachem Wechsel des Wirtes. Seine Eier werden von Wasservögeln (hier kommen die Kormorane ins Spiel) über den Kot ins Gewässer abgegeben. Aus ihnen schlüpft das freischwimmende, 1. Larvenstadium, das sich aktiv in kleine Ruderfußkrebse bohrt. In ihnen entwickelt sich das 2. Stadium. Karpfenartige Fische (hier Rotaugen) fressen die Krebse mitsamt dem Parasit, was die Weiterentwicklung zum 3. Larvenstadium des Wurms zur Folge hat. Mit diesem oft recht großen “Vor-Wurm” in der Leibshöhle können Fische einige Jahre überleben, obwohl der Parasit inneren Organen den Platz streitig macht und die Wirtsfische stark beeinträchtigt.
Werden die Fische dann erneut von einem Wasservogel gefressen, schließt sich der Kreis: Die Larve reift zum ausgewachsenen Wurm heran, der produziert Unmengen an Eiern, und die werden in ein neues Gewässer abgegeben.
Raubfische fehlen im Baggersee
Unterbrechen kann man den Zyklus durch den Besatz mit Raubfischen, z. B. Zandern. Fressen diese die infizierten Weißfische, stirbt der Parasit. Das Fehlen fischfressender Arten in diesem Baggersee könnte also ein wesentlicher Grund für den starken Befall der Rotaugen mit dem Riemenbandwurm sein.
Ehemals waren diese Parasiten nicht überall in Europa heimisch, haben sich aber durch Besatz mit Fischen aus anderen Ländern und durch Zugvögel immer weiter ausgebreitet.
Für Menschen ist der Verzehr von befallenen Fischen nur dann gefährlich, wenn sie als Sushi genossen und nicht gebraten, gekocht oder heiß geräuchert werden. Angler sollten an einem Gewässer mit befallenen Fischen auf keinen Fall Innereien ihrer Fänge ins Gewässer werfen.
Zurück zum Baggersee: Ein spannendes Gewässer, stadtnah und mit großem Potenzial für die Übernahme der fischereilichen Hege durch einen Angelverein, um einen gesunden Fischbestand aufzubauen.